Lausanne ist mit seiner stark coupierten Topographie ein hartes Pflaster – selbst für E-Biker. Mit viel gutem Willen seitens der Politik hat sich die Westschweizer Metropole dennoch zum Vorzeigeobjekt velophiler Begehrlichkeiten gemausert.
Gerade erhasche ich einen ersten Blick auf den Genfersee, als mich im Zug nach Lausanne die SMS von easybiken-Chefredaktor Martin Platter erreicht: «Ich bin da. Schwierig zum Velofahren hier... und seeehr coupiert.» Wir haben uns für eine E-Bike-Tour in der waadtländischen Kantonshauptstadt verabredet. Im Verlauf vom kommenden Nachmittag wird klar, warum die Stadt eine Herausforderung für Velofahrende ist – und sich trotzdem auf gutem Weg zur Verkehrswende befindet.
Bereits auf dem Weg vom Bahnhof runter an den See fällt auf: Immer wieder mal hört der Velostreifen unvermittelt auf. Um sicher unterwegs zu sein, muss man stets bremsbereit und mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache sein. Trotzdem sind da aussergewöhnlich viele Eltern mit Kindern auf Longtail-Bikes im Strassenbild.
Seit 2020 subventioniert die Stadt Lausanne E-Bikes über das Programm «Équiwatt». Für das laufende Jahr wurden die Unterstützungsbeiträge sogar nochmals erhöht. Der Kauf eines schnellen Elektrovelos oder eines Cargobikes wird neu mit bis zu 1000 Franken unterstützt. Personen unter 25 Jahren und Einwohnerinnen und Einwohner, die einen Krankenversicherungszuschuss erhalten, profitieren auch bei langsamen E-Bikes von einer Subvention in der Höhe von 50 Prozent des Kaufpreises bis maximal 1000 Franken. Vollgefederte E-Mountainbikes hingegen sind vom Programm ausgenommen. Die Elektrovelos sollen keine Spassmobile sein, sondern zum Pendeln eingesetzt werden – und so das Auto ersetzen und den ÖV entlasten. Insgesamt hat die Stadt inzwischen 7900 E-Bikes subventioniert und dafür total 3,5 Millionen Franken ausgegeben. Die Investition hat sich gelohnt: Zwischen 2014 und 2021 konnte der individuelle motorisierte Verkehr im Zentrum um zwölf Prozent reduziert werden.
In den Parkanlagen entlang des Sees ist das Velofahren in Lausanne richtig entspannt. Man teilt sich den Raum zwar oft mit den Zufussgehenden. Aber anders als etwa ums Seebecken von Zürich, fährt man nicht entlang vom Wasser, um von A nach B zu kommen, sondern hauptsächlich, um das ausgedehnte Blau zu geniessen.
Wir hingegen haben ein klares Ziel: Wir wollen eigentlich zur EPFL, zur École Polytechnique Fédérale de Lausanne – der ETH der Romandie. Per Zufall kommen wir auf dem Weg dahin an einem angsteinflössenden mehrspurigen Kreisel vorbei, der aber zum Glück mittels einer unterirdischen Velo- und Fussgängerpassage zu bewältigen ist. Am Weg liegt auch der imposante Hauptsitz des Olympischen Komitees.
Auch das EPFL-Gelände ist beeindruckend: Man wähnt sich fast wie auf einem US-amerikanischen Campus. Supertolle Sportanlagen, alles sehr weitläufig und dann erst das Studentenwohnheim Vortex (Wirbel). Eine perfekte Symbiose aus Holz und Beton. Der Rundbau mit kreisförmigem Innenhof wurde für die Olympischen Jugendspiele 2019/20 errichtet und bietet nun 1100 Studierenden und Hochschulgästen ein Zuhause. Bei solch toller Architektur haben selbst ältere Semester, wie wir welche sind, wieder Lust zum Studieren. Gerne würden wir noch etwas länger auf dem Campus verweilen, aber wir haben einen Termin mit Regina Bölsterli, einem Vorstandsmitglied von Pro Velo Lausanne. Die gebürtige Schaffhauserin lebt seit 25 Jahren in der Stadt am Genfersee und wird uns in den kommenden zwei Stunden durch ihre Wahlheimat führen.
Wir fahren mit Regina Richtung Oberstadt. Da und dort macht sie uns auf neue Veloinfrastrukturen aufmerksam. In sattem Gelb leuchtende Velostreifen, Veloampeln mit Vorgrün oder ein «sas à vélo» – also ein Aufstellbereich vor der Ampel reserviert für Velos, zu Deutsch auch «Velosack» genannt. «In den vergangenen fünf Jahren hat sich in unserer Stadt sehr viel fürs Velo verbessert», erzählt Regina. Aber man sei in Lausanne im Vergleich zu anderen Schweizer Städten auch gewaltig im Rückstand gewesen.
In früheren Zeiten war die anspruchsvolle Topografie ein Argument gegen Investitionen in die Veloinfrastruktur. In Lausanne gibt es wenig flache Strecken. Schuld daran ist der Rhônegletscher, der hier zwischen Alpen und Jura seine Seitenmoräne zurückgelassen hat. Auf manchen Abschnitten sind Steigungen von über 15 Prozent zu bewältigen. Doch seit dem Boom der E-Bikes sind knackige Anstiege bekanntlich kein Argument mehr gegen das Velo.
Den Fortschritt in Sachen Veloinfrastruktur hat Lausanne aber auch seiner aktuellen Finanz- und Verkehrsdirektorin Florence Germond zu verdanken. Die SP-Politikerin sitzt seit 2011 in der Regierung. Und nicht ganz unbedeutend: Zuvor war sie Gründungsmitglied und langjährige Präsidentin von Pro Velo Lausanne. In der Legislatur 2016–2021 hat die 47-Jährige mehr als zwei Dutzend Velomassnahmen umgesetzt. Darunter neue Velostreifen, mehr Veloabstellplätze, Öffnung von Busstreifen oder Einbahnen für Velofahrende, ein Verleihsystem für E-Bikes, Tempo-30-Zonen, eine Voie Verte in die Agglomeration oder Pop-Up-Velowege im Rahmen der Covid-19-Massnahmen.
Die Reportage der Velotour in Lausanne mit hilfreichen Tipps ist in der Ausgabe 1/24 im Magazin easybiken veröffentlicht.
Text: Andrea Freiermuth, Fotos: Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 1/2024