Mit E-MTB-Weltmeisterin Nicole Göldi und Schweizermeister Jürg Graf sowie deren Trainer Urs Graf auf Feierabendtour vom Rheintal nach St. Anton im Oberegg – mit anschliessender Meisterfeier!
Was für ein Wechselbad der Gefühle für die beiden bsk-Graf-Teammitglieder Nicole Göldi und Jürg Graf an den letzten E-Mountainbike-Weltmeisterschaften Ende August 2021 in Val di Sole, Italien. Während Göldi gleich bei ihrer ersten E-MTB-WM-Teilnahme souverän zu Gold sprintet, ist der Titelkampf für Graf bereits nach 100 Metern wegen eines Kettenrisses zu Ende. Rückblickend schüttelt der 37-jährige Rheintaler den Kopf und sagt: «Ich war angetreten, um den Titel zu holen. Und dann passiert so was.» Graf vermutet, dass eine alte Software-Version, die beim Schaltvorgang die Kraft des Motors nicht reduziert, der Grund für die Überlast auf der Kette war. Der gewünschte Triumph stellte sich schliesslich drei Wochen später an der ersten E-MTB-Schweizermeisterschaft in Disentis ein (Bericht auf Seite 74) – mit der neuen Specialzed-Software.
Als Architekt beider Erfolge gilt Urs Graf, der Vater von Jürg, der auch diese Feierabendtour in seinem Heimrevier eingefädelt hat. Wir nutzen einen der letzten lauen Spätsommerabende in der vorletzten Septemberwoche. Treffunkt ist um 17 Uhr in Lüchingen bei Altsätten, SG, am Hauptsitz von bsk-Graf, der ein Fahrrad-Fachgeschäft ist. Ein nicht unwesentlicher Faktor der eingangs erwähnten Erfolgsgeschichte, denn die Grafs tüfteln nicht nur seit Jahrzehnten an den Trainingsmethoden, sondern reizen auch das Material bis ins letzte Detail aus.
Von wegen «no shortcuts»…
Im Mültobel hoch über Altstätten verlassen wir den Asphalt und erreichen den ersten verwinkelten Singletrail. Nicole und die beiden Grafs sind voll bei der Sache und zirkeln mit spielerischer Leichtigkeit um die engen Kurven. Wir müssen Gas geben, denn die Sonne steht schon recht tief. Immer wieder kürzen wir die Kehrkurven der Passstrasse Richtung St. Anton in Oberegg ab. Unter uns breiten sich das Rheintal und der gegenüberliegende Gebirgszug mit Nob, Schusterstuhl und Mörzelspitze aus, der sich bereits auf österreichischem Boden befindet. Trotz der happigen Steigungen geht‘s dank Elektrounterstützung und kleinen Gängen im leichten Tritt bergauf. In der Ferne erhebt sich der Säntis ins Zartrosa des Sonnenuntergangs. ...
Zügig geht die Fahrt weiter Richtung St. Anton in Oberegg. «Eine Enklave des Kleinkantons», präzisiert Urs. Kurz zuvor haben wir erstmals die grandiose Aussicht in die nächsten Geländekammern Richtung Norden genossen, die ausschnittweise den Blick auf den Bodensee und das benachbarte Deutschland freigeben. «Die Kantonsgrenzen verlaufen hier im Zick-Zack. Ständig wechselt man zwischen Appenzell Innerrhoden, Auserrhoden und Sankt Gallen. ...
Das Beste kommt zuletzt
Auf der St. Antonstrasse fahren wir weiter bis zum Skilift, wo wir nochmals einen Moment die Aussicht aufs Appenzell und die Bodenseeregion geniessen. Gleich hinter dem Bauernhof «Bürki» fahren wir auf den ersten Trail im Wald. Der Kretenweg auf der feuchten Nagelfluh, durchsetzt mit Wurzeln und Steinen, erfordert höchste Konzentration. Zwischen zwei Waldstücken führt der Trail auf einer Kuppe durchs Gras mit Blick auf Rheintal und Bodensee, die langsam von der Dunkelheit verschluckt werden. Wir zünden unsere Scheinwerfer für den finalen Downhill an.
Immer steiler wird der Trail und immer ausgewaschener. Immer breiter wird das Grinsen der drei Einheimischen, die die Strecke kennen wie ihre Hosentasche. Ich büsse für meine forsche Gangart und rutsche auf einer feuchten Wurzel aus. Doch ausser einem Knacks im Selbstvertrauen bleibt alles heil. Die Abfahrt wird nun richtig technisch. Zur Steilheit und dem seifigen Waldboden gesellen sich feuchte, nahezu vertikal verlaufende Wurzeln und immer wieder glitschiger Nagelfluh in allen Formen und Ausprägungen. Ich staune über das Tempo und die fahrtechnische Virtuosität, die meine Begleiterin und meine Begleiter vorlegen, derweil ich etwas rausnehme.
Gemeinsam erreichen wir schliesslich das Restaurant Bruggtobel, in der die Feierabendtouren der örtlichen Bikegruppe traditionell ausklingen. Urs Graf lächelt verschmitzt. Was er mir nicht angekündigt hatte: Heute Abend sollen die Titel von Nicole und Jürg im Kreise der ganzen bsk Bike-Clique gebührend gefeiert werden. Ich staune noch viel mehr als ich sehe, wer alles anwesend ist. Fast die gesamte Rheintaler Bike-Prominenz sitzt am Tisch.
Erst nach Mitternacht treten wir schliesslich den Rest des Rückwegs an. Für die letzten beiden Kilometer nach Lüchingen wechseln wir ausnahmsweise auf die Heidenstrasse. Eine grandiose Tour mit einer Hammerabfahrt, die aber nichts für Anfänger ist, fand mit der Meisterfeier einen überraschenden und würdigen Abschluss.
Den kompletten Bericht können Sie in der Printausgabe 1•2022 von easybiken nachlesen.
Text und Fotos: Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 1/2022