Es ist abzusehen, dass sich elektrische Zusatzantriebe auch im Rennvelosektor etablieren werden. Das in der Schweiz entwickelte Elektrorennrad Specialized S-Works Turbo Creo zeigte im Test mit vorbildlicher Integration, Konnektivität und Komfort, wohin die Entwicklung geht.
Es ist eine Herausforderung, ein Rennrad mit einem Zusatzantrieb
auszustatten, der die Fahreigenschaften und vor allem das Fahrgefühl
beim Pedalieren nicht verändert. Vielleicht deshalb sind E-Bikes bisher
unter Rennvelofahrern noch kaum anzutreffen. Ironischerweise hat sich
der «Human-Enhancement-Gedanke» ausgerechnet in dieser Szene, die auf
eine unrühmliche Dopingvergangenheit zurückblickt, bisher wenig
durchgesetzt. Also, dass der Elektroantrieb keine Krücke, sondern eine
sinnvolle Erweiterung des menschlichen Könnens ist, der sogar der
Gesundheit zuträglich ist, weil er die gefährliche Überanstrengung bei
weniger gut Trainierten verhindern kann. Die Rennveloszene lebt wie kaum
eine zweite von ihren Vorbildern. Das wissen auch die Marketingleute
von Specialized – und haben am ersten Ruhetag der letztjährigen Tour de
France das erste Elektrorennrad der renommierten US-Marke präsentiert:
Das S-Works Turbo Creo SL.
Medienwirksame Präsentation
Frankreichs
temporärer Nationalheld Julian Alaphilippe, zu diesem Zeitpunkt noch im
Leader-Trikot, schwang sich medienwirksam in den Sattel und machte so
auch den charismatischen Specialized-Firmengründer Mike Sinyard
glücklich. Denn der war zunächst gar kein Fan von E-Bikes, wie sich bei
einem Besuch in der internationalen E-Bike-Entwicklungszentrale von
Specialized in Cham bei Zug herausgestellt hat. Marketing-Manager
Dominik Geyer sagt: «Mike hatte anfangs das Bild von den plumpen
Komfort-E-Bikes der ersten Generation vor Augen. Das hatte für ihn
überhaupt nichts mit Radfahren zu tun.» Als man sich im Unternehmen
dennoch intensiver mit der Materie E-Bike zu befassen begann und dazu
die Filiale in Cham gründete, verschwand bei Sinyard die Skepsis.
Bereits das erste «Turbo»-Alltagsrad – damals noch mit dem
geräuschlosen Nabenmotor von Go SwissDrive – stach bei der Präsentation
2012 aus dem Gros der E-Bikes heraus, die Antrieb und Batterie noch wie
Warzen auf dem Rahmen aufgepfropft hatten. Das «Turbo» hatte bereits
einen formschlüssig im Oberrohr integrierten Akku, eine schnittige
Silhouette, war relativ leicht und fuhr sich ähnlich agil wie ein
herkömmliches Fahrrad – nur eben schneller.
Antriebshersteller geheim
2015
präsentierte das US-Unternehmen mit dem «Turbo Levo» das erste E-MTB,
dass sich mit kompletter Systemintegration, üppigem Federweg, wuchtig
bereifter 27,5-Zoll-Räder im Boost-Format und flüsterleisem Brose-Motor
ebenfalls bald zum Branchen-Standard aufschwang und kürzlich unter Alan
Hatherly den ersten E-MTB-WM-Titel gewann.
Mit dem S-Works Turbo Creo wagt sich Specialized nun erstmals auf das
anspruchsvolle Parkett der E-Rennräder. Bewusst hat man sich für einen
kompakten, nur 1,9 Kilo leichten Antrieb entschieden, dessen Hersteller
Specialized geheim hält. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass der
Motor von Mahle stammt. Das deutsche Unternehmen hat sich vor 100 Jahren
einen Namen als Erfinder von Aluminiumkolben in Verbrennungsmotoren
gemacht und zählt wie Bosch und Brose zu den grossen Zulieferern im
internationalen Fahrzeugbau. Der Motor verstärkt die Eigenleistung des
Fahrers ,nur’ um 100 Prozent, beziehungsweise 240 Watt, derweil
herkömmliche E-Bike-Antriebe auf dem Papier bis zu viermal stärker sind.
In der Praxis machte sich das allerdings weit weniger deutlich
bemerkbar, als es die Zahlen vermuten lassen.
13,7 Kilo leicht
Wir
haben uns beim Fahrtest bewusst für das etwas schwerere Turbo Creo SL
Expert Evo mit voluminöser Radquer-Bereifung entschieden, das uns
Specialized freundlicherweise für fünf Tage zur Verfügung gestellt hat.
Es erlaubte auch abseits befestigter Strassen ein zügiges Vorwärtskommen
und ermöglichte mehr Kreativität bei der Routenwahl. Stets dabei war
der ein Kilo leichte Zusatzakku mit 160 Wattstunden im eigens dazu
designten Flaschenhalter am Sattelrohr. Zusammen mit dem zum Laden nicht
entfernbaren 320-Wh-Stromspender im Unterrohr stieg damit die
Akkukapazität auf 480 Wh bei einem Gesamtgewicht des E-Velos von 13,7
Kilo ohne Pedalen.
In leicht coupiertem Gelände verspricht Specialized so eine Reichweite von etwa 180 Kilometern. In der realen Welt bei angenehmen 23 Grad haben wir 100 km und bis 1’750 Höhenmeter mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 bis 27 km/h erreicht. Diese Angaben beziehen sich auf einen 78 Kilo schweren, durchschnittlich trainierten Hobbyfahrer mittleren Alters, der geradeaus etwa eine Eigenleistung von 200 bis 230 Watt zu treten vermag. Am Berg stieg diese Leistung auf durchschnittlich 273 Watt während 20 Minuten. So bescheinigte es das Garmin Navi, das über die Ant-Plus-Schnittstelle mit dem Turbo Creo verbunden auch Leistungsdaten aufzeichnen kann. Gekoppelt via Bluetooth mit dem Smartphone wiederum lassen sich über die Mission-Control-App der Systemzustand von Motor und Akkus auslesen, Leistungs- und Ansprechverhalten feintunen und Touren aufzeichnen.
Bergauf mit Motorengeräusch
Nicht nur die Konnektivität und die intuitiv zu bedienende Benutzeroberfläche haben gefallen: Auch ohne Rennradbereifung und Motorunterstützung rollte das Creo Evo fast so leicht wie ein herkömmliches Rennvelo. Der Rahmen ist stabil und wendig. Dank der Lenkerdämpfung, die rund zwei Zentimeter Federweg über dem oberen Lenklager ermöglicht, war das Fahrgefühl dennoch nicht bretthart. Dass die Pedalen wegen der Breite des Motors etwas weiter auseinanderstehen (erhöhter Q-Faktor), fiel im Test nicht negativ auf. Der Antrieb reagierte sehr feinfühlig auf Pedaldruck, unterstützte bis zu einer Geschwindigkeit von zirka 27 km/h und setzte dann ruckfrei aus. Mittels Druckknopfes auf dem Oberrohr kann zwischen drei Unterstützungsstufen gewählt werden. Bergauf lieferte der Motor auch bei niedriger Tretkadenz ein gut verwertbares Drehmoment; Specialized beziffert es auf 35 Newtonmeter. Willkommen ist, dass die Kraft auch bei einer Kadenz um 90 Pedalumdrehungen noch gut spürbar vorhanden ist. Das treibt in kurzen, ruppigen Steigungen am Ende von langen Touren die Säure und damit den Schmerz aus den Beinen. Das Einzige, was nicht gefallen hat, war das zuweilen aufdringliche Motorengeräusch. Je höher die Trittfrequenz, desto hochfrequenter surrte der Antrieb. Vor allem beim Bergauffahren, dann, wenn man als Radfahrer in der Ruhe den meditativen Moment sucht, erinnerte einen das Motorengeräusch daran, eben nicht nur mit eigener Muskelkraft unterwegs zu sein. Im Wiegetritt dagegen ist der Motor nahezu unhörbar. Andere Zentralmotorenhersteller wie Fazua und Bafang, die ebenfalls auf kleinere Triebwerke mit geringerer Leistung setzen, zeigen, dass es auch mit dezenterer Geräuschkulisse geht.
Bezüglich Gesamtkonzept schafft es Specialized aber einmal mehr, den Massstab zu setzen, lässt sich dies aber auch entsprechend bezahlen: Die Listenpreise beginnen bei 7’399 Franken und enden bei 16’499 Franken für die auf 250 Stück limitierte Founders Edition.
Specialized
Text: Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 1/2020