Eine neue Mountainbike-Gattung liegt im Trend. Das Light-E-MTB tritt an, die Lücke zwischen unmotorisiertem Mountainbike und Full-Size-E-MTB zu schliessen. Arne Bischoff vom pressedienst-fahrrad erklärt die Besonderheiten und zeigt, welche Modelle zum Beginn der Mountainbike-Saison in den Handel rollen.
Ein E-Mountainbike mit 16 Kilogramm? Was vor ein paar Jahren noch
utopisch klang, ist mittlerweile im Trend. Immer mehr Velohersteller
bringen zum Saisonbeginn 2024 sogenannte Light-E-Mountainbikes auf den Markt.
Der Name soll dabei Programm sein: E-Mountainbikes mit einem im
Vergleich zum bisher dominierenden Full-Size-E-MTB deutlich verringerten
Gewicht von unter 20 Kilogramm. Die leichtesten Vertreter der neuen
Gattung sind mit rund 16 Kilogramm Gewicht kaum noch schwerer als
viele vollgefederte Mountainbikes ohne Motorunterstützung und bis zu
zehn Kilogramm leichter als gewöhnliche E- Mountainbikes. Möglich wird
das Abspecken durch Verzicht.
Die im Light-Sektor eingesetzten Antriebe
leisten in der Regel ein geringeres maximales Drehmoment von 50 bis 60
Newtonmetern (Nm). Ausnahmen bestätigen die Regel. Die meiste Kraft
steht bei sportlich hohen Trittfrequenzen zur Verfügung. Diese
Charakteristik ähnelt nicht nur dem Fahrverhalten sportlicher
FahrerInnen, die ohne Motorunterstützung unterwegs sind, sie senkt auch den Energieverbrauch. Die
eingesetzten Akkus stellen mit zwischen 300 und 500 Wattstunden (Wh) genug
Reichweite auch für mittlere Touren bereit. Zum Vergleich:
Full-Size-E-MTBs haben Motoren mit einem maximalen Drehmoment von 80 bis
95 Newtonmetern und Akku-Kapazitäten von 600 Wattstunden aufwärts.
Die
meisten Hersteller positionieren ihre Light-E-MTBs deshalb als
abfahrtsfreudige, vollgefederte Allrounder mit Federwegen zwischen 130
und 160 Millimetern. Für längere Touren gibt es zudem die Möglichkeit,
Akku-Kapazität und Reichweite mit einem «Range Extender» genannten
Zweit-Akku zu erweitern. Dieser hat zum Beispiel die Form einer Trinkflasche
und wird bei Bedarf einfach an das Rad angestöpselt – wird der
Range-Extender nicht genutzt, kann an seiner Stelle eine Trinkflasche
montiert werden. Obwohl sich aktuell vier Motorenhersteller auf dem
Markt für die besonders leichten Bikes tummeln, gehen sie nicht nur in
Sachen Leistung, Akku-Kapazität und Range Extender ähnliche Wege. Zum
guten Ton gehört auch die Möglichkeit, die Leistungsentfaltung der
Antriebe via App auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen, mittels
umfangreicher Verbindungsfähigkeiten, zum Beispiel Verknüpfung des Motors mit
Leistungsmessungsgeräten über ANT+ oder Bluetooth. Einig sind sich die
verschiedenen Hersteller auch beim Bedienkonzept. Dezent ins Oberrohr
integrierte Displays und kompakte Lenkerfernbedienungen fügen sich
dezent ins Gesamtbild ein.
Fahrfreude ist nicht messbar
Von diesen
Massnahmen versprechen die Bikehersteller sich und ihren KundInnen
vor allem eins: mehr Fahrfreude. Das deutlich geringere Gewicht soll
Agilität und Handling verbessern, während der Antrieb genau so viel
Leistung bereitstellt, dass bei sportlicher Fahrweise auch bergauf viel
Fahrspass geboten wird. «Fahrspass kann man nicht messen, nur erleben.
Fahrspass hängt auch nicht immer von Zahlen oder Daten ab. Mehr heisst
nicht immer mehr!», ist Philipp Martin, Marketing-Manager bei Orbea,
überzeugt. Der baskische Hersteller ist mit seiner Modellserie «Rise» einer der Wegbereiter der noch jungen Gattung. Brandneu ist die zweite
Generation des Rise, die auf dem Bikefestival Riva ihre Premiere feiert.
Den Antrieb auf den Kopf gestellt
Ebenfalls sehr früh auf
dem Light-E-MTB-Markt war Haibike, selbst E-MTB-Anbieter der allerersten
Stunde. Die Franken haben mit dem «Lyke» ein Light-E-MTB in drei
Ausstattungsvarianten im Programm. «Das Lyke rundet unser
umfangreiches E-MTB-Angebot um ein Modell für sportlich ambitionierte
Fahrerinnen und Fahrer ab. Es ist optisch und in Sachen Gewicht kaum
noch von einem unmotorisierten Mountainbike zu unterscheiden und optimal
für Menschen, die Wert auf ein schlankes Rahmendesign legen, aber nicht
auf Unterstützung verzichten wollen», sagt Global Brand Manager
Matthias Rückerl den Newcomer.
Leichter E-MTB-Antrieb
Die
Hamburger Sportradprofis von Stevens bieten mit ihrer «E-Maverick»-Plattform gleich zwei verschiedene Light-Modelle in drei
Ausstattungsvarianten an. Das «E-Maverick AM» versteht sich mit einem
Federweg von 140 Millimetern und einem Gewicht ab 16,5 Kilogramm als
vielseitiger Allrounder, während die «ED-Version» mit 160 Millimetern
Federweg, potenteren Federelementen und robusterer Ausstattung sich an
die abfahrtslastigere Enduro-Disziplin wendet. Ausflüge in den Bikepark
oder Renneinsätzein der E-Enduro-Serie inbegriffen. Mit einem Gewicht von unter 1,9 Kilogramm ist er laut
Herstellerangaben der aktuell leichteste E-MTB-Antrieb auf dem Markt.
Volker Dohrmann, Brand Manager bei Stevens, sagt dazu: «Sportlichkeit
ist unser Markenkern. Die neuen Light- Assist-Modelle im MTB- und
Gravelbereich verschieben die Benchmark in Sachen Fahrdynamik.»
Leichtgewichtige Weltpremiere
E-Bike-Pionier
Flyer zeigt ebenfalls auf dem Bike-Festival in Riva erstmals sein
«Uproc SL:X» genanntes E-Trailbike. Mit einem Gewicht von unter 18
Kilogramm bei einem Federweg von 130 Millimetern setzt Flyer auf den
SX-Antrieb von Marktführer Bosch – bei den Topmodellen gehört der Range
Extender zum Lieferumfang und erweitert so auf Wunsch die Akku-Kapazität
um 250 auf 650 Wattstunden. Anja Knaus, Senior-PR-Managerin beim
schweizerischen Hersteller, sagt: «Mit dem Uproc SL:X vergisst man,
dass man ein E-MTB fährt, so agil ist das Fahrverhalten. Nur wenn es
bergauf geht, bemerkt man den Motor – und freut sich.» Weniger ist mehr,
das ist auch das Motto beim relativ geringen Federweg. Er soll mit
einer sportlichen Kinematik der aktiven Charakteristik des Bikes
Rechnung tragen und gleichermassen für die schnelle Hausrunde wie für
den anspruchsvollen Alpen- Einsatz funktionieren.
Kein spezifisches Zubehör nötig
Spezifisches
Light-E-MTB-Zubehör scheint es trotz des Booms erst einmal nicht zu
geben. Reifenhersteller Schwalbe empfiehlt, die Reifen vor allem nach
dem Anwendungsbereich des Rades zu wählen und zwar unabhängig davon, ob
es sich um ein motorisiertes oder unmotorisiertes Bike handele. Ausserdem
sehe man ja, dass es sehr unterschiedliche Light-E-MTBs gebe, so
Steffen Jüngst, PR-Manager bei Schwalbe: «Auf einem Trailbike sind zum
Beispiel Nobby Nic und Wicked Will eine zum Einsatzbereich des Bikes
passende Reifenkombi, während ein Enduro eine ganz andere Ausrichtung
hat. Hier sind Magic Mary und Big Betty die erste Wahl aus unserem
Sortiment.» Die meisten Mountainbikereifen des oberbergischen
Herstellers sind mit dem Kürzel «E-25» oder «E-50» für die Nutzung am
E-Bike beziehungsweise S-Pedelec freigegeben.
Ähnlich sieht es bei den
Kontaktpunkten wie Griffen und Sattel aus. Lothar Schiffner,
Presseverantwortlicher beim Koblenzer Ergonomiespezialisten Ergon,
empfiehlt ebenfalls Griffe und Sattel gemäss dem Einsatzbereich des
Rades zu wählen, weniger nach der Antriebsgattung, und nicht auf Teufel
komm raus Gewicht zu sparen. «Für die meisten Light-E-Mountainbikes
sollten unsere Allmountain- oder Enduro-Griffe oder speziellen
E-MTB-Sättel eine gute Wahl sein.»
Kommentar: Die neuen Allrounder
Bereits
seit einigen Jahren werden mehr E-Mountainbikes verkauft als
«Bio»-Mountainbikes, also Räder ohne Elektromotor. Das Light-E-MTB
könnte diesen Trend weiter verstärken und zum neuen Standard beim
sportlichen Geländesportrad ausserhalb der klassischen
Radsportdisziplinen avancieren. Wem sich bisher E-Mountainbikes mit
ihrem brachialen Turboschub und hohem Gewicht zu sehr nach
Motocross-Motorrad anfühlten, wer sich aber trotzdem Motorunterstützung
wünscht, dürfte hier fündig werden. Beide Segmente, Light- und
Full-Size-E-MTB ersetzen sich nicht, sondern ergänzen sich. Das
Argument, E-MTB-Fahren sei kein Sport, ist ohnehin längst obsolet. Wer
will, kann sich auch auf dem E-MTB vollkommen verausgaben. Der Motor
gibt dann nur das Seine dazu und katapultiert die Leistungsfähigkeit von
Mensch und Maschine nahe an das Niveau von ProfisportlerInnen. Auf
diese Option zu verzichten, wenn sie mit so wenig Kompromissen verbunden
ist wie beim Light-E-MTB, könnte in Zukunft zunehmend zur
Minderheitenwahl werden. Für mich persönlich in jedem Fall: Light-E-MTBs
rücken weniger technische Daten in den Mittelpunkt und eignen sich
nicht fürs Superlativmarketing. Dafür bringen sie etwas zurück, was über
Drehmoment- und Maximalkapazitätswettkämpfe in Vergessenheit zu geraten
drohte: den Fahrspass.
Mehr Trends und Informationen über E-Bikes gibt es in der Ausgabe 1/24 im Magazin easybiken.
Text und Kommentar: Arne Bischoff, pressedienst-fahrrad