Gespräch mit Jörg Beckmann:

«Happiness to go»

Der Verkehrssoziologe und Direktor der Mobilitätsakademie Jörg Beckmann ist auch Geschäftsführer des Verbandes Swiss eMobility – und beobachtet die Entwicklungen im Bereich E-Bike und vor allem auch E-Cargobike genau.

Jörg Beckmann

Sie sind promovierter Verkehrssoziologe. Was sind Ihre Erkenntnisse zum Verkehrsverhalten in der Schweiz – insbesondere auch der Fahrrad- und E-Bike-Fahrenden?
Besonders auffallend am Schweizer Verkehrsverhalten ist aus meiner Sicht die hohe Multimodalität oder auch Multimobilität. Als sogenannte ,Bahnweltmeister’ und ,Pendlernation’ sind die Schweizerinnen und Schweizer zwar einerseits viel im ÖV unterwegs. Anderseits verfügen sie aber auch sehr häufig über einen eigenen Personenwagen, haben ein Carsharing-Abo und nutzen regelmässig ein Velo. Das E-Bike in seinen unterschiedlichen Facetten bereichert zunehmend dieses Portfolio an privaten oder geteilten Mobilitätswerkzeugen.

Aus Ihrer Sicht als Soziologe: Wie beschreiben Sie den typischen E-Bike-Nutzer?
Den typischen E-Bike-Nutzer gibt es nicht. Vielmehr muss zwischen verschiedenen Idealtypen oder E-Bike-Stilgruppen anhand von sozio-demographischen, räumlichen oder verhaltensspezifischen Merkmalen differenziert werden. ,Bewegungsbewusste Best-Ager’, ,umweltsensible Pendler’, ,herausforderungssuchende Sportler’ und ,freizeitorientierte Familien’ entwickeln vermehrt einen eigenen E-Bike-Stil. Diese Ausdifferenzierung der Nutzergruppen und Mobilitätsstile spiegelt sich in einem immer breiteren Angebot an unterschiedlichen E-Bikes.

Die Mobilitätsakademie fördert die Nutzung von Cargo-E-Bikes in den Städten mittels der Sharing-Plattform carvelo2go. Sind die Menschen tatsächlich bereit, sich auf ein doch recht schweres Lastenrad zu setzen, statt im geschützten Auto Kinder und Ware zu transportieren?
Absolut! Und es werden immer mehr, denn sind Erwachsene oder Kinder erstmal vom Lastenvelovirus infiziert, wollen sie immer seltener zurück auf den Vorder- oder Rücksitz eines Automobils. Elektrisch Lastenvelofahren macht einen Riesenspass, bietet viel Flexibilität und hält fit – «happiness to go» eben.

In welcher City hat sich die Plattform bereits etabliert und wird rege genutzt?
Derzeit sind mehr als 7000 Nutzerinnen und Nutzer in über 20 Städten und Gemeinden auf insgesamt 150 E-Cargobikes unterwegs. Derzeit stecken wir mitten in einer grossen Expansion, sodass wir bereits Mitte 2018 in mehr als 30 Gemeinden etwa 220 Bikes betreiben werden.

Neben zentralen Standorten sollen die Carvelos neuerdings auch in kleineren Wohnquartieren und auf dem Lande gebucht werden können. Funktioniert das Prinzip da anders?
Die Share-Economy ist heute in erster Linie eine städtische Ökonomie, da sich hier am ehesten die kritische Masse an Nutzern (und Anbietern) findet, um einen Sharing-Dienst schnell skalieren zu können. Gleichwohl versuchen wir mit carvelo2go auch in kleineren Städten und Gemeinden, derzeit noch mit Unterstützung des Bundesamtes für Raumentwicklung, ein Angebot zu entwickeln, dass auch in diesen Räumen funktioniert. Erste positive Erfahrungen machen wir gegenwärtig in Riehen, Dietikon und Davos.

Die Pilotgemeinde Davos führt seit Mai letzten Jahres Carvelos, welche auf den Transport von Kleinkindern ausgerichtet sind. Mehr als auf den Haupt- und Quartierstrassen können die Touristen aber ihre Kinder nicht ‚spazierenfahren’ ...
Es sind ja eben nicht nur Touristen mit ihren Kindern, sondern Kleingewerbetreibende die Lieferfahrten erledigen oder ,Extremsportler’, wie die Clique auf dem Foto, die zum Skiwandern mit den Carvelos an die Schneekante pedaliert ist.

Manche fahren mit dem «Packster» bis an die Schneegrenze.
Manche fahren mit dem «Packster» bis an die Schneegrenze.

Nutzen auch KMUs das Angebot, oder gehen diese mit ihren eigenen Transporträdern auf Tour?
KMUs werden bei uns im doppelten Sinne angesprochen. Entweder agieren sie als Host eines Carvelos im Quartier und geben einerseits zu ihren Öffnungszeiten Schlüssel und Akku an die Kunden, die zuvor über die App gebucht und bezahlt haben. Andererseits nutzen sie das Carvelo auch selber – je nach Branche für das Ausliefern der eigenen Produkte oder für Versorgungsfahrten aller Art. Zudem buchen uns KMUs regelmässig zur Abwicklung ihrer Geschäfte, wie beispielsweise ein Plakatierer in Bern.

Die Mobilitätsakademie ist das Tochterunternehmen des Autoverbandes TCS und hat carvelo2go lanciert. Weshalb wird diese umweltfreundliche Alternative zum klassischen Auto so tatkräftig gefördert?
Der TCS versteht sich nicht als Autoverband sondern als Mobilitätsclub. Er hat erkannt, wie nützlich kollaborative Mobilitätsangebote für Mensch und Umwelt sein können und fördert mit carvelo2go daher sowohl die aktive Mobilität als auch den Einzug der Share Economy in den Verkehrssektor.

Die Mobilitätsakademie hat den World Collaborative Mobility Congress (wocomoco) ins Leben gerufen, um sich mit Vordenkern und Anbietern von E-Mobilität über Bike-, Ride- und Carsharing auszutauschen. Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da?
Die Erfahrungen aus wocomoco zeigen, dass die Schweiz mit Mobility-Carsharing sowohl zu den Vorreitern der kollaborativen Mobilität gehört, als auch für die Zukunft neue Impulse setzt. So ist carvelo2go die weltweit erste und grösste Sharing-Plattform für elektrische Cargobikes und wird heute immer öfter auch im Ausland kopiert.

Welche Pläne hegt die Mobilitätsakademie für die Zukunft?
Weiter wie bisher! Das kontinuierliche Wachstum der vergangenen zehn Jahre bestätigt unsere Mission als Think- und Do-Tank des TCS, die Mobilität der Zukunft aktiv mitzugestalten, in Richtung einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit.

Die Plattform carvelo2go wird in über 20 Städten und bald in über 30 Gemeinden genutzt.
Die Plattform carvelo2go wird in über 20 Städten und bald in über 30 Gemeinden genutzt.

Interview: Maja Fueter

aus: easybiken, Heft Nr. 2/2018

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